Zum internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen: Strukturelle Probleme bei der Versorgung von Betroffenen in Deutschland

Heute am 25. November findet der internationale Tag gegen Gewalt an Frauen statt. Diesen Tag möchte ich nutzen, um auf ein großes struktureller Problem in Deutschland bzgl. dieser Thematik aufmerksam zu machen: Die Politik tut zu wenig, um Frauen in dieser Situation zu schützen.

2018 trat in Deutschland die Istanbul-Konvention in Kraft, womit sich Deutschland dem Ziel verschrieb koordiniert gegen Gewalt an Frauen vorzugehen. Darin wurde festgeschrieben, dass Deutschland sich dazu verpflichtet, dass „ausreichend und bedarfsgerecht finanzierte Frauenhausplätze geschaffen werden, um Frauen und Kinder vor Gewalt zu schützen.“ (Frauenhauskoordinierung 2021)

Es war vorgesehen, dass niemand aus Kapazitätsgründen abgewiesen werden muss. Doch trotzdem fehlten in Deutschland laut dem Katapult Magazin im Jahr 2020 14.600 Betten in deutschen Frauenhäusern. (vgl. Katapult Magazin 2020) Die Situation hat sich seit dem nicht wirklich verbessert, trotz angeblichen Bemühungen in der Politik. Durch u.a. unsichere Finanzierung und zu niedrigen Personalschlüssel (vgl. Frauenhauskoordinierung 2022) steht es schlecht um die Versorgung von Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind.

Es hallte durch alle Medien, jeden dritten Tag wurde 2021 in Deutschland eine Frau durch ihren Partner ermordet. Jeden Tag findet der Versuch eines Tötungsdelikts statt. (vgl. bspw. NDR 2022) Nach der Kriminalstatistik waren im Jahr 2018 140.755 Menschen Opfer von häuslicher Gewalt in Deutschland. Die Dunkelziffer liegt aber deutlich höher. Bei 81% der Opfer handelte es sich um Frauen. (vgl. Katapult Magazin 2020)

Etwa jede Stunde wird in Deutschland eine Frau schwer von ihrem Partner angegriffen laut den Recherchen von Represent (2020). Die Corona-Pandemie und damit verbundene Lockdowns erhöhten das Risiko von Gewalt gegen Frauen und erschwerte für Hilfesuchende den Zugang zu Stellen, die Hilfe anbieten. (vgl. FHK 2021, Katapult 2020)

Es darf nicht weiter ein Tabu-Thema sein, wenn Menschen zum Opfer von Gewalt in den eigenen vier Wänden werden. Es reicht nicht Mitgefühl mit Opfern von häuslicher Gewalt zu äußern und Beschwichtigungen von Politikern zu hören, es müssen Strukturen geschaffen werden, in denen Opfer geschützt werden können und auch Hilfe erhalten, wenn sie diese benötigen.

Dies ist in Deutschland aktuell nur bedingt der Fall. Auch die Expertengruppe des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (GREVIO) kommt zu dem Schluss, dass es in Deutschland Defizite bei der Versorgung von Betroffenen gibt. (vgl. Tagesschau 2022)

Zwar gibt es Strukturen bspw. in Form von Beratungsstellen, Hilfetelefonen oder Frauenhäusern, allerdings fehlen hier dringend benötigte Kapazitäten, sodass Frauen oft abgewiesen werden und keinen Platz erhalten. Aktuell gibt es 370 Frauenhäuser in Deutschland nach Aussagen der Frauenhauskoordinierung (FHK). Laut der Einschätzung von Experten zu wenig, was auch daran deutlich wird, dass 2019 durchschnittlich jede zweite Frau aufgrund zu geringer Kapazitäten angewiesen wurde. (vgl. Represent 2020)

Der Europarat empfiehlt, dass es einen Frauenhausplatz pro 7.500 Einwohnern gibt. Die meisten Bundesländer bieten weit weniger an. (correctiv 2021) Wie bei so Vielem im sozialen Bereich, scheitert es an Fragen der Finanzierung, fehlenden Geldern und verworrenen Zuständigkeiten. Bund, Länder und Kommunen schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu. Die Finanzierung ist oft nicht gesichert und wird durch freiwillige Leistungen der Kommunen finanziert, d.h. es gibt bisher keinen festen, einheitlichen Topf, durch den eine ausreichende Finanzierung gesichert wird. Durch die föderalen Strukturen in diesem Bereich gibt es bisher keine länderübergreifende Regelung zur Finanzierung. (vgl. FHK 2021, represent 2020)

Zudem gibt es keine einheitlichen Regelungen, ob das Frauenhaus durch Betroffene selbst bezahlt werden muss, oder ob ein Kostenträger einspringt. Knapp mehr als jede 4. Frau im Frauenhaus musste ihren Aufenthalt selbst bezahlen, weitere 12 Prozent mussten Anteile der Kosten übernehmen. (vgl. FHK 2022)

Da sich viele Opfer in einer finanziell prekären Situation befinden, wird somit aufgrund von ökonomischer Diskriminierung und Exklusion vielen Frauen der Zugang bereits im Vorhinein verwehrt, selbst wenn ein Platz vorhanden wäre. Auch bspw. Studentinnen, Bafög-Bezieherinnen und Frauen, die sich unter fünf Jahre in Deutschland aufhalten, sind von einer Kostenübernahme in der Regel ausgeschlossen. (vgl. Represent 2020)

Bisher gibt es für Betroffene generell kein rechtlich-gesichertes Anrecht auf einen Platz im Frauenhaus und selbst bei gesicherter Finanzierung finden sie nicht immer einen freien Platz oder müssen viele Kilometer von ihrem Wohnort unterkommen. Besonders für Frauen mit Kindern oder Behinderungen kann es sehr schwer werden einen Platz zu finden. Auch fehlende Sozialwohnungen erschweren die Situation von Frauen. (vgl. Represent 2020, FHK 2021)

Es gibt noch mehr Bereiche, in denen es dringende Bedarfe zur Verbesserung gibt und strukturelle Probleme die Situation von betroffenen Frauen erschweren. Um nur zwei Beispiele kurz anzuschneiden: Der unsensible Umgang von Polizisten und Polizistinnen oder der Justiz mit Opfern von häuslicher Gewalt und die (gesellschaftliche) Stigmatisierung von Überlebenden oder akut Betroffenen, oft einhergehend mit einer Schuldzuweisung an diese. Was es bedarf ist eine Ent-Tabuisierung des Themas in der Öffentlichkeit und eine Sensibilisierung für die Thematik. Menschen, die Gewalt erfahren haben, sind keine schwachen Personen. Es gibt Gründe weswegen sie in diese Situation geraten sind oder warum sie bei ihren gewalttätigen Partnern oder Partnerinnen bleiben, die man nicht kennen oder nachvollziehen können muss, um einen respektvollen Umgang und Mitgefühl gegenüber der betroffenen Person aufzubringen. Besonders Polizeibeamte, die täglich mit solchen Fällen konfrontiert werden, sollten dabei eine Feinfühligkeit entwickeln und die Situation für Opfer nicht zusätzlich erschweren.

Soforthilfe bekommen Frauen über das bundesweite Hilfstelefon „Gewalt gegen Frauen“ unter der kostenfreien Nummer 08000 116 016. Auf der Seite des Hilfstelefon (https://www.hilfetelefon.de/) gibt es ein umfassendes Onlineangebot für Frauen. Die Seite kann man auch anonym besuchen. 

Quellen:

Correctiv (2021): Häusliche Gewalt: Überlastete Schutzunterkünfte für Frauen und Kinder: https://correctiv.org/aktuelles/gesundheit/2021/02/10/ueberlastete-schutzorte-fuer-frauen-und-kinder/

Frauenhauskoordinierung (2021) : Zentrale Statistik Frauenhäuser und ihre Bewohner_innen 2020

Frauenhauskoordinierung (2022) : Zentrale Statistik Frauenhäuser und ihre Bewohner_innen 2021

Katapult Magazin (2020): 14.600 Betten fehlen in Deutschlands Frauenhäusern: https://katapult-magazin.de/de/artikel/14600-betten-fehlen-in-deutschlands-frauenhaeusern

Datum: 25. November 2022

"Heute am 25. November findet der internationale Tag gegen Gewalt an Frauen statt. Diesen Tag möchte ich nutzen, um auf...

Gepostet von Marisa's Blog Diskussionsforum - Stiftung Gewaltfreies Leben am Freitag, 25. November 2022