Vorgeschichte des Ukraine Konfliktes 2014 (Euro-Maidan, Putsch, Krim)

 

Ich möchte heute wie versprochen auf die Vorgeschichte des Ukraine-Konfliktes und die Rolle des Westens dabei eingehen, möchte jedoch betonen, dass ich mich in dem Blogartikel auf die Geschehnisse bis einschließlich 2014 beziehe und nicht auf den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine 2022 direkt. Ich habe dazu vor allem Artikel der Bundeszentrale für politische Bildung zusammengefasst sowie noch weitere Quellen einbezogen. Ich lade jeden dazu ein, die unten verlinkten Quellen selbst zu lesen 😊  

 

Bereits im November 2014, nach dem Eintreten der Ukraine-Krise, plädierte Christian Hacke in einem Beitrag der Bundeszentrale für politische Bildung für mehr Realismus in der Außenpolitik des Westens und kritisierte dessen Rolle im Ukraine-Konflikt.

Um den Kontext des Inhaltes des Artikels besser einordnen zu können: Im November 2013 kündigte die ukrainische Regierung an, ein Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union nicht zu unterzeichnen und stattdessen engere Beziehungen zu Russland zu suchen. Dies löste Proteste in Kiew und anderen Städten der Ukraine aus, die sich im Laufe der Zeit zu einem landesweiten Aufstand gegen die Regierung entwickelten, der sogenannten „Euro-Maidan-Bewegung“. Verschiedene soziale Gruppen engagierten sich innerhalb der Proteste, während es allerdings auch Gegenbewegungen gab und es auch bereits zuvor Gruppen gab, welche sich gegen das Assoziierungsabkommen mit der EU engagiert hatten. Auch rechte und nationalistische Gruppen hatten eine Bedeutung in der Maidan-Bewegung.* Der Putsch gegen Viktor Janukowitsch im Februar 2014 änderte die politische Situation in der Ukraine stark. (1) Die Gegenproteste verstärkten sich unmittelbar nach dem Sturz von Janukowitsch und führten zu einer Verschärfung der politischen Spaltung und der ethnischen und kulturellen Unterschiede im Land. Insbesondere im Osten und Süden der Ukraine, wo viele Menschen russischer Abstammung leben, gab es Proteste und Demonstrationen gegen die neue pro-westliche Regierung in Kiew. (2, S. 18-25) Die Krim wurde zwischen Februar und März 2014 durch Russland von der Ukraine abgespalten, was den Konflikt zwischen Ukraine und Russland deutlich verschärfte und auch international zu Reaktionen führte.

Hacke beschreibt, dass viele Beobachter die Ursache der Ukraine-Krise als Folge der „explosiven Entwicklung“ in Bezug auf den Kiewer Majdan Ende 2014 / Anfang 2014 sehen. (3) Wie auch andere Quellen wie bspw. die Rosa Luxemburg Stiftung belegen können hat die Euro Maidan Bewegung in der Ukraine die Bevölkerung zutiefst gespalten, so dass sich neben der Maidan-Bewegung auch eine Anti-Maidan Bewegung etablierte, in der auch linke Kräfte in der Ukraine geschwächt wurden. (z.B. 2, 4)

Etwas provokant stellt der Autor in dem Artikel eine Frage: Welche Verantwortung trägt der Westen in der Ukraine-Krise? (Es bleibt zu betonen, dass der Artikel einige Jahre vor dem Eintreten des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges 2022 verfasst wurde)

Detailliert zeichnet er die Entwicklungen ab der 90er Jahre ab, in denen die USA nach dem Ablösen der bipolaren Ordnung nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, der Hegemon in einer unipolaren Ordnung innehatten. (5) Hacke beschreibt, dass der Westen in dieser Phase wenig Rücksicht auf „außenpolitische Befindlichkeiten und Sicherheitsinteressen“ von Russland genommen hätte, was spätestens bei der Intervention der Nato im Kosovo im Krieg** gegen die Serben bewusst wurde. (3) Vermehrt kam es zu Äußerungen Russlands, die sich kritisch gegenüber den Handlungen der Nato stellten, allerdings wurden diese Bedenken von NATO und EU laut Hacke nicht ernstgenommen. Auch die NATO-Ost-Erweiterung 1999 von Polen, Tschechien und Ungarn, welche 1997 beschlossen wurde, sorgte für Frustration in Russland, zumal von dieser in den 1990er Jahren noch keine Rede war unter George Bush senior (1980-1993) (3) Trotz der Konfliktlinien aufgrund des Kosovokrieges und der Ost-Erweiterung schaffte man es 1999 im November bei dem Istanbuler-OSZE-Gipfel Kompromisse zu erzielen, in denen sich die Teilnehmerstatten verpflichtete die OSZE zu stärken und einen gemeinsamen Sicherheitsraum zu schaffen. Außerdem wurde weitere Vereinbarungen getroffen, welche allerdings nicht umgesetzt wurden in den Folgejahren, was auch mit dem Handeln des Westens in Zusammenhang war. (6)

Ein besonderer Kurswechsel setzte sich ab 2001 ab, als die Bush-Administration unter George W. Bush implementiert wurde. Dazu schreibt Wolfgang Richter 2016: „Während die Rüstungskontrolle erodierte, nahm auch die Bedeutung der OSZE für die Gestaltung der europäischen Sicherheit zugunsten einer fortgesetzten exklusiven NATO-Erweiterungspolitik ab. Moskauer Vorschläge (2006-2009), die Rolle der OSZE als inklusive Sicherheitsorganisation durch eine rechtsverbindliche Charta zu stärken oder einen neuen Sicherheitsvertrag zu schließen, wiesen die USA mit Unterstützung von Verbündeten zurück.“ (6)

 

Als 2008 Gespräche aufkamen Georgien und die Ukraine in die NATO aufzunehmen, stellte dies Russland vor weitere Herausforderungen. Bereits hier drohte Putin mit harten Worten gegenüber George W. Bush in denen er drohte „die Ukraine würde aufhören zu existieren, insofern diese in die Nato aufgekommen werden würde“ Trotzdem wurden die Drohungen ignoriert und 2009 des Weiteren auch Albanien und Kroatien aufgenommen.

Als im Winter von 2013 auf 2014 durch die Euro-Maidan-Proteste sehr deutlich wurde, dass westliche Werte in der Ukraine an Einfluss gewissen, fürchtete der russische Präsident die Proteste könnten auf Russland überschwappen. Damit sah er den russischen Imperialismus in Gefahr. Die Situation blieb unbehandelt, die Konflikte zwischen der Ukraine und Russland sowie dem Westen und Russland spitzten sich weiter zu. Bis es zu einer Entladung des Konfliktes kam und Russland im Februar 2014 die Krim annektierte.  (3)

 

Hacke stellte damals schon folgende mögliche Szenarien für die Ukraine in Aussicht:

„Idealtypisch gesehen, könnten in solchen Verhandlungen folgende Entwicklungen und Szenarien ausgelotet werden:

  1. Die Ukraine wird als souveräner Staat in der altbekannten Form und den alten Grenzen unter Einschluss der Krim wieder hergestellt. Dieses Modell ist vermutlich passé. Russland kann und wird die Krim nicht zurückgeben.
  2. Es kommt zur Wiederherstellung der territorialen Integrität einer neutralen Ukraine, wobei die Krim bei Russland verbleibt. Dieses Modell ist vermutlich nur realisierbar, wenn Regierung und Parlament in Kiew auf eine NATO-Mitgliedschaft verzichten und von einer einseitigen Westorientierung und Assoziierung mit der EU wieder Abstand nehmen. Eine neutrale Ukraine könnte als Brücke zwischen West und Ost konstruktive Beziehungen zwischen den westlichen Demokratien und dem autoritären Russland fördern.
  3. Eine föderative Ukraine mit vergrößerter Autonomie für den Osten ist ebenfalls denkbar, sofern sie neutralen Charakter hat und darüber hinaus den russischen Minderheiten und Russland selbst erhöhten Einfluss zubilligt.
  4. Spitzt sich die Konfrontation zu – geht also die russische Intervention weiter, während der Westen die Sanktionen gegen Russland verschärft und Kiew weiterhin ermuntert, sich ausschließlich nach Westen auszurichten –, dann könnte das dritte Modell nicht ausgehandelte, sondern erzwungene Wirklichkeit werden: Russland könnte hart reagieren und die Teilung in eine westorientierte Westukraine und eine russlandorientierte Ostukraine vorantreiben. Die von den Separatisten ausgerufenen „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk würden dann vermutlich früher oder später der Russischen Föderation beitreten.
  5. Nicht auszuschließen ist auch, dass darüber hinaus Russland seine Unterstützung für die Separatisten auch auf die Westukraine ausdehnt, um die gesamte Ukraine zu destabilisieren und möglicherweise sogar dem russischen Herrschaftsbereich einzuverleiben. In diesem Falle droht eine Eskalation zum Stellvertreterkrieg Russlands und der USA in der Ukraine.“ (Quelle Zitat: 3)

 

An den Ausführungen lässt sich erkennen, dass der Konflikt eine längere, komplexe Vorgeschichte besitzt und lässt den Gedanken zu, dass diese Spannungslinien, die sich vor allem seit 2014 bereits gewalttätig entladen haben, auch mit einen Einfluss auf den Angriffskrieg seit 2022 hatten. Das vierte und fünfte beschriebene Szenario, welche Hacke bereits 2014 beschrieben hat, sind eingetroffen, wenn auch offen bleibt bisher, welcher Ausgang der Krieg in der Zukunft haben wird und welches Schicksal damit für die Nationen und ihre Bevölkerungen verbunden ist. Es bleibt zu hoffen, dass sich gewaltfreie Methoden finden, den Konflikt auszuhandeln und das Blut vergießen und die Kriegsverbrechen aufhören. Das Ziel muss das schnellstmögliche Wiedererlangen von Frieden und Sicherheit sein, sodass keine Zivilisten oder in den Krieg einberufene mehr sterben müssen, Angehörige verlieren oder als Geflüchteter um das Schicksal der Zurückgebliebenen bangen zu müssen. Festzuhalten bleibt trotzdem, und das gilt zu betonen, dass die Entscheidung die Ukraine 2022 anzugreifen mit absoluter Eindeutigkeit völkerrechtswidrig war und moralisch strengstens zu verurteilen ist und keine der vorangegangenen Situationen eine Rechtfertigung für das Handeln des russischen Regimes auf moralischer Ebene darstellt.

 

 

*Ergänzungen:

*Zu Nationalisten in der Euro-Maidan Bewegung auch interessant: https://www.zeit.de/politik/ausland/2013-12/ukraine-protest-swoboda-maidan?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F

https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2014/Hitlers-Helfer-wie-Nationalisten-die-Ukraine-weiter-spalten-,ukraine451.html

 

**Zu dem Thema Kosovo eine Doku Empfehlung: Es begann mit einer Lüge vom WDR, in welcher laut der Aussagen der Filmmacher der Hufeisen-Plan widerlegt werden und als Lüge entlarvt kann, der der Nato nur als Rechtfertigung des Krieges diente. Die Doku wird teilweise umstritten betrachtet, doch es lohnt sich ein eigenes Urteil zu fällen)

 

 

  1. Sasse, Gwendolyn (2018): Zwischen Realität und Mythenbildung der Maidan vor fünf Jahren https://www.bpb.de/themen/europa/ukraine-analysen/281640/kommentar-zwischen-realitaet-und-mythenbildung-der-maidan-vor-fuenf-jahren/

 

  1. Danieljuk, Malte (Hrsg.): Facetten eines Konfliktes – Hintergründe und Deutungen des Krieges in der Ukraine. In: Rosa Luxemburg Stiftung : https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Materialien/Materialien6_Ukraine.pdf

 

  1. Hacke, Christian (2014): Der Westen und die Ukraine Krise https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/194824/der-westen-und-die-ukraine-krise/

 

  1. Rosa Luxemburg Stiftung (2014): Ukrainische Linke gibt’s das? https://www.rosalux.de/news/id/7905/ukrainische-linke-gibts-da-was

 

  1. BAKS BUND (2015): Das Mär von der multipolaren Weltordnung: https://www.baks.bund.de/de/arbeitspapiere/2015/die-maer-von-der-multipolaren-weltordnung-hegemonie-in-der-sicherheitspolitik

 

  1. Richter, Wolfgang (2016): Der Westen trägt eine Mitverantwortung für die Ukraine-Krise https://www.bpb.de/themen/kriege-konflikte/dossier-kriege-konflikte/233440/meinung-der-westen-traegt-eine-mitverantwortung-fuer-die-ukraine-krise/

Datum: 31. Oktober 2022

Hey 🙂 Danke schon Mal, dass ihr der Einladung gefolgt seid. Ich hab bisher kaum jemanden eingeladen, gerade ist der...

Gepostet von Marisa Blog - Stiftung Gewaltfreies Leben am Donnerstag, 27. Oktober 2022