Studien zum Erfolg von Gewaltfreiem Protest

2011 veröffentlichten die US-amerikanischen Forscherinnen Erica Chenoweth und Maria J. Stephan die Studie „Why civil resistance works. The Strategic Logic of Nonviolent Conflict“, zu deutsch: „Warum ziviler Widerstand funktioniert“. Sie kamen darin zu einem Ergebnis, das für viele überraschend klingen könnte: Gewaltfreie Aufstände weltweit waren im Vergleich in diesem Zeitraum doppelt so effektiv wie gewaltsame Methoden des Aufstandes bzw. des Revolutionsversuches. In den Jahren zwischen 2000 bis 2006 seien gewaltfreie Aufstände der Studie nach sogar 5-mal erfolgreicher gewesen als bewaffnete Aufstände.
 
Sie kamen in der Studie von 2011 zu folgenden Ergebnissen:
• Dass die Wahrscheinlichkeit einer Demokratie fünf Jahre nach dem Konflikt bei gewaltfreien Methoden 10 Mal höher ist (41%) als bei bewaffneten Methoden (4%).
• Wahrscheinlichkeit eines Bürgerkriegs zehn Jahre nach dem Konflikt 1,5 Mal so hoch ist bei bewaffnetem Vorgehen (43%) als bei gewaltfreier Taktik (28%)
• Dazu untersuchten die beiden Forscherinnen 323 internationale Konflikten im Zeitraum zwischen 1900 bis 2006
• Als erfolgreich galt in der Studie ein Aufruf dann, wenn die Kampagne innerhalb eines Jahres ihre Ziele zu 100 Prozent erreicht hat, nachdem ihre Aktivitäten den Höhepunkt erreicht haben
• Kampagne wird in der Studie definiert als „Reihe von beobachtbaren, fortwährenden, zielgerichteten Massentaktiken oder Veranstaltungen mit der Absicht, ein politisches Ziel zu verfolgen.“ (Stefan Maaß 2013)
Untersucht wurden dabei drei verschiedene Methoden zur Erreichung bestimmter politischer Ziele:
1. Aufstand gegen ein Regime um es zu stürzen (Regimewechsel)
2. Besatzungs- oder Unabhängigkeitskampf (Vertreibung der Besatzer bzw. Erreichung von Unabhängigkeit)
3. Sezessionskämpfe (Abspaltung eines Teilgebiets von einem Land)
 
Als Bedingungen und Gründe für den Erfolg von Gewaltfreiem Protest kristallisieren die Autorinnen folgende Punkte heraus:
1. Die Fähigkeit Massen zu mobilisieren
2. geringere Isolierbarkeit der involvierten Akteure
3. Häufig wechselnde sowie kreative Methoden
 
2019 brachten Chenoweth, die weiter geforscht hatte, dann noch Ergebnisse heraus, die ein Dämpfer darstellen könnte für jene, die durch die Ergebnisse der älteren Studie in zu frühere Euphorie verfallen sind.
Denn zwischen 2004 und 2019 hat die Effektivität (Erfolgswahrscheinlichkeit) von Gewaltfreiem Widerstand wieder abgenommen, lag allerdings weiterhin deutlich über der Erfolgsrate für gewaltsame Aufstände.
 
• In dem Zeitraum von 2000 bis 2018 hat die Anzahl der gewaltfreien Aufstände zugenommen, während die Zahl der gewaltsamen Aufstände signifikant abgenommen hat,
• allerdings habe in diesem Zeitraum die Erfolgswahrscheinlichkeit des gewaltlosen Protests abgenommen und sich mehr als halbiert von 65% im Jahr 2000 auf nur noch 30% im Jahr 2018.
• Die Erfolgswahrscheinlichkeit für gewalttätige Aufstände sei aber immer noch mit einer Erfolgsquote zwischen 10 und 20% deutlich geringer.
 
Als Gründe dafür sieht Chenoweth
1. Den Rückgang der Anteilnahme an großen Protestbewegungen in der Bevölkerung, welcher in den 90er Jahren noch bei 3% lag und 2010 nur noch bei 1%
2. Den Anstieg der Zahlen der gewalt-
freien Bewegungen, welche sich mit gewaltsamen Flügeln vermischen (von 30% auf fast 50%), was die Erfolgsrate von Kampagnen signifikant sinkt
3. Die Abnahme von Ausdauer und Widerstandsfähigkeit von Sozialen Bewegungen und die zeitgleiche Zunahme der Fähigkeit von Regimen, diese Bewegungen zu unterdrücken, da auch autoritäre Regime und Diktaturen dazugelernt haben, sie sich technisch weiterentwickelt haben und neue Methoden der Repression aus den Erfahrungen entwickelt haben, z.B. wurden Widerstandskämpfer als Terroristen gebrandmarkt (dies funktionierte noch leichter, wenn die Bewegung nicht rein gewaltfrei
War), agents provocateurs zum Hineintragen von Gewalt in Bewegungen eingesetzt und der Versuch unternommen führende
Oppositionelle in die Regierung einzubinden und es wurden Todesschwadrone und paramilitärische Einheiten, Zensur sowie (digitale) Überwachung eingesetzt und Medien in Beschlag genommen um eine neutrale Berichterstattung zu verhindern und Propaganda zu verbreiten.
 
Doch Chenoweth zieht daraus nicht die Schlussfolgerung, dass gewaltfreier Widerstand dadurch chancenlos geworden sei und keine Zukunft habe, da seine Erfolgswahrscheinlichkeit u.a. aus diesen Gründen abgenommen habe, sondern glaubt, dass die Methoden des gewaltlosen Widerstandes nur an die Bedingungen und das Wissen angepasst und flexibilisiert werden sollten. Die Organisation von reinen Protesten, auch wenn dadurch viele Leute auf die Straße kommen, sieht sie als nicht zielführend und ausreichend. In ihren Augen müssen auch Streiks, Generalstreiks und Boykotte organisiert werden als Methode der kollektiven Verweigerung und Methoden des zivilen Ungehorsams in die Kampagne miteinzogen werden. Anhänger der Kampagne sollten sich auf einen langen Kampf und die Notwendigkeit einer langfristigen, taktisch durchdachten Taktik einzustellen müssen und der Planung der Kampagnen mehr Raum und Zeit zu geben. Zudem sollte der digitale Aktivismus in ihren Augen nicht überschätzt werden, da es nur zur kurzzeitigen Mobilisierung und nicht zur langfristigen Planung von taktischen Kampagnen geeignet sei, da diese durch eine persönliche Vernetzung der beteiligten Akteure erfolgsversprechender sei. Chenoweth fasst in ihrem Vortrag zusammen, dass in der Vergangenheit Gewaltfreier Widerstand Vor allem dann erfolgreich gewesen sei, „wenn es gelang, große Massenbewegungen hervorzubringen, die vielfältig und divers aufgestellt waren und sehr unterschiedliche Teile der Bevölkerung repräsentierten. Besonders erfolgreich [seien] gewaltfreie Aufstände, wenn Frauen in der ersten Reihe der Aktionen dabei sind und in der Führungsebene einer Kampagne eine wichtige Rolle spielen. [Und] wenn es gelingt, an den Säulen der Macht anzusetzen und wichtige Träger eines Unrechtssystems zum Überlaufen zu bringen.“ (Becker-Hinrichs 2020, S. 1)

 

Datum: 31. Oktober 2022

2011 veröffentlichten die US-amerikanischen Forscherinnen Erica Chenoweth und Maria J. Stephan die Studie "Why civil...

Gepostet von Marisa's Blog Diskussionsforum - Stiftung Gewaltfreies Leben am Sonntag, 18. Dezember 2022